Einmalige Kooperation von SOS-Kinderdörfer weltweit und Universität

UNIKIMS, die Management School der Universität Kassel, kooperiert mit sozialer Hilfsorganisation: Weltweit erster Online-Masterstudiengang Wind Energy Systems nimmt Studierende aus Schwellen- und Entwicklungsländern auf.

Die UNIKIMS, die Management School der Universität Kassel, ist Pionierin: Schon 2015 hat sie den weltweiten ersten Online-Masterstudiengang Wind Energy Systems ins Leben gerufen. Nun öffnet sie ihn – in Kooperation mit SOS-Kinderdörfer weltweit – mit einem Stipendienprogramm für talentierte und zielorientierte Ingenieurinnen und Ingenieure aus Schwellen- und Entwicklungsländern. Die UNIKIMS gibt damit ihre Antwort auf eine der großen Herausforderung unserer Zeit, indem sie die Megathemen Klima und Bildung miteinander verbindet. Die Welt hat schließlich noch für lange Zeit einen kaum stillbaren Bedarf an Erneuerbaren Energien sowie an Ingenieurinnen und Ingenieuren, die diese Energien weltweit nutzbar machen können.

KASSEL. Im weltweit ersten und berufsbegleitenden online-Masterstudiengang Wind Energy Systems (wes.online) studieren von Herbst 2021 an dreizehn Ingenieurinnen und Ingenieure, die als Kinder oder Jugendliche in einem SOS-Kinderdorf aufgewachsen sind, oder deren Familie im Rahmen eines SOS-Familienstärkungsprogramms unterstützt wurde.

„Der Ausgleich von Bildungschancen zwischen unterschiedlich entwickelten Ländern ist ein Beitrag zur Völkerverständigung, zum Frieden und zur klimaschonenden Energiewende, wenn wir Wissen zum Ausbau und zur Nutzung der Erneuerbaren Energien miteinander teilen“, sagt Univ.-Prof. Dr.-Ing. Detlef Kuhl. Er ist Akademischer Leiter jenes Studiengangs, den die Universität Kassel entwickelt hat. Wissenschaftlicher Kooperationspartner des Studiengangs ist das Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik (IEE) in Kassel. Etwa 40 Studierende von allen Kontinenten haben das Angebot aus Kassel zur wissenschaftlichen Weiterqualifikation nach einem ersten Studienabschluss bisher angenommen. Die zwei Frauen und elf Männer aus Bangladesch, Indien, Somalia, Ruanda und Nigeria, die in Kooperation mit SOS-Kinderdörfer weltweit in Kassel ab Oktober 2021 an online studieren, nehmen an einem einjährigen Zertifikatprogramm teil, das Module aus dem berufsbegleitenden Masterprogramm umfasst und zudem auf die dezentrale Windenergieversorgung ausgerichtet ist. Sie können die im Zertifikatprogramm erworbenen Studienleistungen in das Masterprogramm einbringen, wenn sie das Online-Studium in Kassel später bis zum Master fortsetzen möchten. Die Teilnahme am Zertifikatprogramm kostet 6.000 Euro und am kompletten Masterprogramm 14.000 Euro. Die UNIKIMS stellt den SOS-Studierenden die Studienplätze kostenfrei zur Verfügung.

Somit nehmen ab Oktober zusammen mit den Teilnehmenden am Zertifikatprogramm etwa zwei Dutzend Studierende das Online-Studium neu auf. Die UNIKIMS engagiert sich ihrerseits in verschiedenen sozialen und ökologischen Projekten. Ihre Mitarbeiter:innen übernehmen zum Beispiel Patenschaften für Kinder und Jugendliche aus SOS-Kinderdörfern.

Prof. Dr.-Ing. habil. Detlef Kuhl
Prof. Dr.-Ing. Detlef Kuhl

Wissen teilen, um Chancen zu mehren

Mit dem Teilen von Wissen zur Nutzung und zum Ausbau Erneuerbarer Energien leistet die Wissenschaft nach Prof. Dr. Detlef Kuhls Worten einen Beitrag, um auch in Ländern, die technisch noch nicht so weit entwickelt sind, die Lebensgrundlagen zu sichern und zu verbessern, indem dort fossile Energieträger durch Strom aus nachhaltig fließenden Quellen ersetzt werden. Zudem verbesserten die Studierenden mit dem Wissen, das sie online an der Universität Kassel mit Hilfe der UNIKIMS erlernten, ihre persönliche Chance auf dem heimischen und internationalen Arbeitsmarkt. „Das Studium an der UNIKIMS führt am Ende zu einem Masterabschluss in den Ingenieurwissenschaften an einer deutschen Universität. Dieser Abschluss ist weltweit ein Prädikat für ingenieurwissenschaftliche Kompetenz“, erläutert Prof. Dr. Detlef Kuhl die Qualität dieses Masterabschlusses. Der Bedarf an akademisch ausgebildetem Nachwuchs in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) sei weltweit groß, „und wir qualifizieren junge Menschen aus aller Welt für den Weltmarkt“.

Mehr als 800 Millionen Menschen leben ohne Strom

Gegenwärtig arbeiteten nicht alle Studierenden, die am Zertifikatprogramm teilnehmen, in ihren Heimatländern entsprechend ihrer Qualifikation, sondern auch im Handwerk. Prof. Dr. Detlef Kuhl sieht hier ein nicht ausgeschöpftes, großes Potential, um mit Hilfe des Nachwuchses die Erneuerbaren Energien auch in jenen Ländern auszubauen, in denen es noch keine Stromversorgung gibt. Derzeit leben mehr als 800 Millionen Menschen auf der Welt ohne Stromversorgung.

SOS-Kinderdörfer: Einmalige Kooperation

Für die SOS-Kinderdörfer ist die Kooperation mit der UNIKIMS neu und in dieser Form einmalig, wie Brigitte Kagerbauer, Projektkoordinatorin bei SOS-Kinderdörfer weltweit in München, schildert. Die UNIKIMS sei auf die SOS-Kinderdörfer mit der Idee und dem Angebot zugekommen, weltweit potentielle Studierende unter den Schützlingen der SOS-Kinderdörfer auszuwählen. Die Anfrage sei über die SOS-Regionalbüros in Asien, Afrika, Europa, Mittel- und Südamerika an die jeweiligen SOS-Nationalbüros weitergeleitet worden.

SOS-Mitarbeiter:innen, die mit den SOS-Programmteilnehmer:innen in direktem Kontakt stehen, haben geholfen, passende Kanditat:innen für das Zertifikat- und Masterprogramm der UNIKIMS zu identifizieren. Die dreizehn gewonnenen Studierenden werden sowohl von der UNIKIMS, als auch von den SOS-Kinderdörfern betreut, um für diese die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, sowie bei der Überwindung sprachlicher oder kultureller Hindernissen zu unterstützen. Geplant ist es, den Programmerfolg aus Sicht aller Beteiligten regelmäßig zu evaluieren und gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen.

Brigitte Kagerbauer
Brigitte Kagerbauer, SOS-Kinderdörfer weltweit

Einmalig an dem Angebot der UNIKIMS sind nach den Worten von Brigitte Kagerbauer, das vollumfängliche Stipendium für die Teilnehmer:innen am Zertifikat- und Masterprogramm, sowie die Tatsache, dass die Studierenden zum Studium in ihren Heimatländern bleiben können und schließlich die Kombination zweier Top-Themen, nämlich Bildung und Klimaschutz, die jeweils einen hohen Stellenwert in der Arbeit der SOS-Kinderdörfer haben.

Masterstudium für mehr Erneuerbare Energie

Bildung sei die Voraussetzung für ein Leben ohne Armut und in Unabhängigkeit, sagt Brigitte Kagerbauer. Weltweit lebten über 70.000 Kinder und Jugendliche in den Einrichtungen der SOS-Kinderdörfer, zusätzlich werden mehr als 300.000 Kinder und Eltern in Notsituationen im Rahmen der SOS-Familienstärkungsprogramme begleitet und gefördert. Für Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien sei es oft besonders schwer, einen Arbeitsplatz zu bekommen. Dies gelte sowohl für Europa als auch für Asien und Afrika. Die von SOS-Kinderdörfer betreuten Kinder, Jugendlichen und Familien lebten häufig in strukturschwachen Regionen und ihnen fehlten vielfach die Netzwerke, die ebenso wichtig seien, um beruflichen Erfolg begründen zu können.

Klimaschutz und Kinderschutz

Außerdem gehe bei SOS-Kinderdörfer Klimaschutz Hand in Hand mit Kinderschutz. Schon heute seien tausende Familien gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, da die Armut durch den Klimawandel drastisch steige, und sich die Menschen anderswo bessere Lebensumstände erhofften. SOS-Kinderdörfer unterstützt Menschen, denen der Klimawandel die Lebensgrundlage entzieht, und helft ihnen, sich besser gegen die Folgen der Klimaveränderung zu wappnen. Zusätzlich vermittelt SOS-Kinderdörfer Wissen zur Umstellung auf klimafreundliche Lebensweisen. „Hier setzt die einmalige Kooperation mit UNIKIMS perfekt an, denn Dank des Studienangebots können die SOS-Stipendiat:innen die Entwicklung der Erneuerbaren Energien in ihren Heimatländern vorantreiben“, sagt Brigitte Kagerbauer.

Strom ohne klassischen Netzanschluss

Das Zertifikatsprogramm ist nach den Worten des Studiengangmanagers Dr. rer. pol. André Bisevic vom Fraunhofer IEE von der Auswahl der Inhalte und der Lehrenden auf die Studierenden aus Ländern ohne ein klassisches Stromnetz zugeschnitten. Vor allem in den ländlichen Regionen der Schwellen—und Entwicklungsländer ist eine stabile Stromversorgung nicht selbstverständlich. Den Studierenden werden sowohl Kenntnisse über die mechanischen und elektronischen Komponenten von Windkraftanlagen sowie von der Stromspeicherung und Netzintegration vermittelt, als auch Kenntnisse zur Administration und zum Management von Windfarmen. Die Lehrenden wiederum haben Erfahrungen in der Speicherung von Energie und im Aufbau von Energieanlagen in Regionen ohne klassischen Netzanschluss. „In den Ländern, aus denen diese Studierenden kommen, gibt es häufig kein funktionierendes Stromnetz und keine Windkraftindustrie. Wir leisten einen Beitrag, um Ingenieur:innen als Pioniere für den Ausbau der Windenergie zu befähigen. Wenn wir dann noch bedenken, dass diese Studierenden aus den am stärksten wachsenden Ländern und Metropolen dieser Welt kommen, wo auch mit der Bevölkerungszahl und der wirtschaftlichen Aktivität der Energiebedarf wachsen wird, dann setzen wir heute ein zartes Pflänzchen, das einmal reiche Frucht tragen kann“, sagt Dr. André Bisevic.

Unterstützung im Alltag für die Studierenden

Dian Yunus ist Studiengangsmanagerin der UNIKIMS und ebenfalls Ansprechpartnerin der Studierenden im Hochschulalltag. Sie stammt aus Indonesien und kennt das Leben in einem Land im Transformationsprozess. „Ich weiß, wie es ist, wenn kein Strom fließt. Wenn Stromausfall war, konnten wir am nächsten Tag keine Hausaufgaben vorlegen in der Schule, und ich weiß, wie schwer es in einem Land ist, das nicht so arbeitet wie Deutschland, ein Zeugnis oder einen anderen Nachweis zu erbringen oder vorzulegen. Es beansprucht manchmal Wochen und Monate, und es erfordert das Zurücklegen weiter Wege, bis ich ein Dokument in den Händen halte, das mich zur Teilnahme an einem Bildungsangebot in einem anderen Land berechtigt“, berichtet die junge Frau. Darum habe seit April, als die Bewerbungen in Kassel eintrafen, die Klärung der Formalitäten einen großen Aufwand erfordert.

Sollte es für einen Studierenden nötig sein, noch einen Englischkurs zu absolvieren, oder sollte ein Laptop fehlen, was tatsächlich der Fall war, so kümmern sich die SOS-Kinderdörfer in Abstimmung mit der UNIKIMS darum. Die Kosten für die Hardware übernimmt die UNIKIMS.

Die Studierenden seien im Alter zwischen etwa 20 und gut 30 Jahren, sagt Dian Yunus. Eine Studentin aus Ruanda habe zum Beispiel schon eine wissenschaftliche Qualifikation im Umgang mit der Ressource Wasser und wolle ihre Kompetenz nun auf dem Gebiet der Windenergie ausbauen. Andere nutzten die Zeit, in der die Pandemie in den weniger entwickelten Ländern eine Wirtschaftskrise ausgelöst habe, um sich weiter zu qualifizieren.

Die Studierenden setzen sich ehrgeizige Ziele

In ihrem Bewerbungsbogen schildern die Studierenden ihre Ziele. Christine aus Ruanda ist 26 Jahre alt. Sie ist Wasser- und Umweltingenieurin und möchte zudem eine Expertin auf dem Gebiet der Windenergie werden: „Ich träume davon, nach meinem Studium eine Beratungsagentur aufzubauen, die es managen wird, einen großen Beitrag dazu zu leisten, die Windenergie technisch und ökonomisch in das Energienetz in Ruanda zu integrieren.“

Pam aus Nigeria ist 28 Jahre alt und möchte seinem Land und der ganzen Welt helfen, die Frage der Energieversorgung zu lösen, weil kein Land der Welt ökonomisch wachsen könne ohne eine stabile Energieversorgung.

Yusuf aus Somalia ist 23 Jahre alt und möchte ein „Business Man“ werden, weil er sein Land in eine Zukunft führen möchte, in der es seine großen Potentiale an nachhaltiger Energie zu nutzen versteht, - „wenn wir ein engagiertes Volk werden“. Indes verfüge die Regierung in dem „milden Bürgerkrieg“, in dem sich das Land befinde, nicht über die Kapazität, um den Auf- und Ausbau der Nutzung Erneuerbarer Energien in den Blick zu nehmen.

Mukesh kommt aus Indien und ist 33 Jahre alt. Sein Karriere-Ziel ist es, dank einer guten Ausbildung und eines großen Wissens Geld zu verdienen, um andere Menschen zu unterstützen, die weniger privilegiert sind als er.

„Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg, sagt man im Deutschen, und wir als UNKIMS helfen unseren Studierenden aus allen Kontinenten, diesen Weg zu gehen“, beschreibt Dian Yunus ihre Aufgabe.