Frauen in MINT-Berufen: Die eigenen Talente führen zum Erfolg
Interviews mit Studentinnen und Absolventinnen im berufsbegleitenden Masterstudiengang Industrielles Produktionsmanagement des Fachbereichs Maschinenbau der Universität Kassel und ihrer Management School über ihren erfolgreichen Weg in technische Berufe
KASSEL. Frauen haben Erfolg in MINT-Berufen, sie fühlen sich in den technischen Berufen, die immer noch als Männerdomäne gelten, durchaus wohl, und sie erfahren heute Förderung durch die Unternehmen und Vorgesetzte, die noch zumeist Männer sind. Früher waren häufig ihre Väter geliebte Vorbilder und Ermutiger, und später deckte die Schule die Talente der Schülerinnen auf. Das zeigt eine Umfrage unter einem knappen Dutzend Frauen, die an der UNIKIMS, der Management School der Universität Kassel, den berufsbegleitenden Masterstudiengang Industrielles Produktionsmanagement (IPM) unter der wissenschaftlichen Leitung von Professorin Dr.-Ing. Sigrid Wenzel studieren.
In der öffentlichen Wahrnehmung, erläutern die befragten Ingenieurinnen, komme die ganze facettenreiche Vielfalt technischer Berufe, in denen viel soziale Kompetenz gefordert sei, allerdings nicht zum Ausdruck. Entscheidend ist für die meisten der befragten Frauen jedoch, dass Eltern ihre Kinder ermutigen, die eigenen Talente zu entdecken und Zutrauen zu sich und den eigenen Fähigkeiten zu stärken. Die Ingenieurinnen wünschen sich, dass mehr Frauen öffentlich zu ihrem Erfolg in technischen Berufen stehen.
Die befragten Studentinnen und Absolventinnen haben in namhaften Unternehmen vielfach schon von Beginn ihrer Kariere Führungsaufgaben wahrgenommen oder wurden auf diese vorbereitet. Mit dem berufsbegleitenden Masterstudium möchten Sie in ihren Unternehmen noch weiter vorankommen. Frau Prof. Dr. Sigrid Wenzel ist überzeugt, dass sich die Schere zwischen jenen, die kreativ, sozial und prozessfähig sind, und jenen, die diese Fähigkeiten nicht haben, weiten wird. Sie sagt ihren Studierenden: „Gestaltet die digitale Transformation! Ich sehe die digitale Transformation als Chance, denn sie verändert die Arbeitswelt zugunsten aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, sodass wir viel mehr Möglichkeiten haben, Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren und in beiden Bereichen aufgehend zu leben. Diese Chance müssen wir nutzen!“ Der berufsbegleitende Masterstudiengang IPM versetze die Studierenden in die Lage, industrielle Prozesse und Systeme über Planungsdomänen und -ebenen sowie über Wertschöpfungsnetze hinweg ganzheitlich zu verstehen und zu managen. Ziel sei es, Produkte und Dienstleistungen systematisch zu verbessern und Unternehmen an die Veränderungen des Marktes anzupassen. Die Informationstechnik ermögliche die Zusammenarbeit zwischen Prozessen und den daran Beteiligten und schaffe die Basis für konkrete Entscheidungen.
Alle Einzelinterviews auf der UNIKIMS-Website
Die UNIKIMS veröffentlicht auf ihrer Website zu jedem Studiengang Absolvent:innenstimmen, die mit Hilfe ausführlicher journalistischer Interviews entstanden sind, wie sie in sozialwissenschaftlichen Untersuchungen auch als qualitative Interviews geführt werden. Um mehr über Frauen in MINT-Berufen zu erfahren, hat die UNIKIMS für den folgenden Beitrag Studentinnen und Absolventinnen des Masterstudiengangs IPM nicht nur nach ihren Erfahrungen mit der berufsbegleitenden wissenschaftlichen Weiterbildung durch ein Masterstudium in den Ingenieurwissenschaften befragt, sondern auch nach ihrem Weg in technische Berufe, ihre Erfahrungen in der Ausbildung und im Beruf, sowie nach Einschätzungen, wie noch mehr Frauen die vielfältige Arbeitswelt der MINT-Berufe für sich als Chance entdecken könnten. Die meisten der Interviews, deren Aussagen hier journalistisch und thesenartig ohne namentliche Nennung der Interviewpartnerinnen zusammengefasst werden, sind auf der Website (https://www.unikims.de/Warum-Frauen-in-MINT-Berufen-Erfolg-haben) der UNIKIMS veröffentlicht.
Das falsche Bild vom Ingenieur in unseren Köpfen
Mit dem „falschen Bild vom Ingenieur in unseren Köpfen“ ist eine erste und offenbar hohe Hürde benannt, die viele Mädchen und Frauen, aber vielleicht auch Jungen und Männer regelrecht davor zurückschrecken lässt, einen MINT-Beruf zu ergreifen. „Es ist in der Öffentlichkeit nicht transparent genug, welche Facetten ein technisches Studium bietet. Man denkt dann gleich an Nerds ... . Es wird nicht richtig kommuniziert, dass jeder, der an Technik Interesse hat, auch etwas Passendes findet“, sagt eine der Interviewpartnerinnen. Und „der Maschinenbau ist sehr vielfältig“, sagt eine andere.
Eine Ingenieurin sagt: „Wir sollten lernen, über Ingenieure und ihren Beruf anders zu sprechen. Ingenieure werden zu schnell reduziert auf ihre Rolle als Techniker. Eigentlich sind sie ‚Problemlöser‘. Und viele Probleme sind nicht allein technischer, sondern menschlicher oder zwischenmenschlicher Natur. Es bedarf nur eines Perspektivwechsels.“
Vielfalt als Basis des Erfolgs
Vielfalt ist ein Faktor des Erfolgs, und Frauen bereichern ein Team. Darin liegt für die Unternehmen eine Chance. „Je diverser ein Team ist, auf desto mehr Ansichten, Meinungen und Erfahrungen kann man zurückgreifen“, sagt eine Ingenieurin. Die Vielfalt oder Diversität des Teams sei sehr wichtig, „denn solange man eine homogene Gruppe gleichdenkender Menschen hat, hinterfragt niemand die Entscheidungen. Die ganze Gruppe macht dieselben Fehler, wähnt sich immer auf dem richtigen Weg.“ Je diverser eine Gruppe sei, desto mehr Impulse aus einem größeren Erfahrungsschatz seien vorhanden, die das ganze Team voranbringen.
Zugleich änderten sich die Berufe und Berufsbilder. Es gebe viele Berufe, die noch kommen werden, und die wir noch gar nicht kennen könnten, gibt eine Interviewpartnerin zu bedenken: „Darum sollten wir uns nicht zu früh festlegen auf eine Richtung im Studium. Und manche Interessen entdecken wir bei uns selbst auch erst im Lauf des Lebens. Wir sollten abstrahieren: Was kann der:die Ingenieur:in? Zusammenhänge erkennen, strukturieren und systematisieren. Und logisch denken. Diese sind keine ausschließlich ,männlichen‘ Fähigkeiten. Jeder Beruf wird vielfältiger und reicher, je größer die Diversität der Menschen ist, die in ihm arbeiten.“
Eltern ermutigen oder entmutigen ihre Kinder
Die Frage, ob sich die Berufswahl schon im Kindesalter mit der Wahl oder Vorgabe des Spielzeugs entscheidet, sprechen die Studentinnen und Absolventinnen in den Interviews vielfach an, aber relativieren ihre Bedeutung sogleich. Denn es gibt Frauen in technischen Berufen in verantwortungsvoller Position erfolgreicher Unternehmen, die lieber mit Lego und Autos gespielt haben, aber es gibt ebenso jene, die nicht mit Technik gespielt haben. Entscheidend für den weiteren Lebensweg der Kinder scheint nicht die Wahl des Spielzeugs zu sein, sondern die Ermutigung durch die Eltern, wie diese Aussagen zeigen:
„Mir wurden totale Freiheiten gelassen, und ich spürte immer die Unterstützung meiner Eltern.“
Eine junge Frau ist auf dem Land aufgewachsen, und „ich konnte tun, was ich wollte. Nein, ich schraube nicht seit Kindertagen, aber ich war auch nie ein ,klassisches Püppchenkind‘, sondern hatte als Kind auf dem Land immer schon einen Bezug zum Technischen. Ich habe früh den Motorradführerschein gemacht und habe Interesse an allen motorisierten Fahrzeugen, was sich auch mit meiner Berufswahl harmonisch ergänzt.“
Eine andere Interviewpartnerin erinnert sich: „Als Kind war ich an vielem interessiert, und ich hatte das Glück, dass meine Eltern mich breit gefördert und nicht in eine Richtung gelenkt haben. Ich spielte mit Autos, mit der Werkbank und mit dem Kaufladen. In der Kindheit und in der Schullaufbahn habe ich erlernt: Ich kann alles erreichen, und alles, was ich dafür brauche, sind Ehrgeiz und Disziplin.“
Häufig kommen die Frauen in den Gesprächen auf ihre Väter zu sprechen. Bisweilen wird der Vater in der Rolle des „Spielkameraden“ geschildert, der früh die Lust der Tochter an den Zahlen erkennt und stimuliert, der die Leidenschaft für Mathematik im Lösen von Aufgaben mit der Tochter teilt und ihr das Sudoku-Spiel nahe bringt.
Schule eröffnet Chancen
„Wir stecken die Menschen zu schnell in Schubladen: Wer Mathe kann, der könne auch Physik und dann könne er auch Ingenieur:in werden“, heißt es in einem Interview. Aber bedeutet das etwa im Umkehrschluss: „Wer nie die Chance hatte, sich für Physik zu interessieren, wird auch niemals Ingenieurin oder Ingenieur?“ Mit der Umstellung der Gymnasialzeit von neun auf acht Jahre wurde einer jungen Frau als Schülerin ein Jahr geschenkt. Statt einer dritten Fremdsprache wählte sie das damals neu eingeführte Fach Naturwissenschaft- und Technik, einen Mix aus Biologie, Chemie und Physik. Sie merkte, dass ihr Chemie nicht lag und dass sie sich auch erst mit Physik anfreunden musste. Sie hatte Physik bis zum Abitur. Das war eine Entscheidung fürs Leben.
Eine andere Interviewpartnerin hatte die Leistungskurse Mathe und Chemie, aber vor allem einen guten Physiklehrer, der in dem kleinen Grundkurs einen hervorragenden Unterricht hielt: „Damit hat er mich geprägt für meinen weiteren Weg, denn ein Bachelor in Maschinenbau ist nichts anderes als angewandte Physik.“
Und immer wieder geht es in den Interviews um Offenheit und Vertrauen – auch im Schulalltag: „Der Grundstein für die Offenheit der Menschen gegenüber den Berufen unabhängig vom Geschlecht wird in der Schule gelegt. Es ist die Aufgabe des Bildungswesens, jedes Kind nach seiner Begabung zu fördern, nicht nach seinem Geschlecht. Mit getrenntem Spielzeug für Mädchen und Jungen fängt schließlich vieles schon an. Wir müssen die Kinder darin bestärken, dass sie auf ihre Begabung vertrauen.“
Es lohnt für die Unternehmen, den Kontakt zu den Schülerinnen und Schülern zu suchen, wie dieses Beispiel zeigt: „In der Schule machten wir zwei Praktika. In der elften Klasse war ich im Volkswagenwerk, erlebte dort eine Kombi aus Produktionshalle und Wissenschaft. Als ich meinen Lehrern sagte, dass ich Maschinenbau studieren wollte, sagten sie, dass sie sich das sehr gut vorstellen können bei mir. Meine Eltern standen komplett hinter meiner Berufswahl. Sie unterstützen mich bei allem.“
„Ich sage: Traut Euch doch!“ in der Berufswahl
Die Entscheidung für einen MINT-Beruf fällt nicht allen jungen Frauen leicht. Einzelne berichten – ohne damit namentlich zitiert werden zu wollen -, dass es vor allem andere Mädchen oder Frauen sind, die sie von der Wahl eines solchen Berufs abhalten wollen und Zweifel an ihrem Selbstvertrauen wecken, denn Mathematik und Physik seien doch viel zu schwer.
Eine Interviewpartnerin spricht das Thema offen an: „Wenn es um Frauen in technischen Berufen geht, dann sind die Frauen das Hauptproblem und nicht die Männer. Da bin ich Antifeministin. Jedem und jeder steht alles offen, man muss es nur wollen und sich nicht mental durch Klischees der Arbeitswelt blockieren. Ich sage: Traut Euch doch! Wenn ein Mädchen oder Junge Interesse an einem technischen Beruf hat, dann erfordert das die Courage, sich am Ausbildungsmarkt schlau zu machen und den richtigen Studiengang auszuwählen und auch alles dafür zu geben.“
Einblicke in Unternehmen senken die Hürden: „Dann erhielt ich als Werkstudentin bei Philips die Gelegenheit zum berufsbegleitenden Studium im Wirtschaftsingenieurwesen, und ich dachte zunächst, dass schaffe ich nie, weil ich dafür zu wenig Physik und Chemie in der Schule hatte. Aber dann hatte ich dasselbe Erlebnis wie in der Mathematik in der Oberstufe: Es macht Spaß! Ich kann richtig gute Noten schreiben! Ich kann mit den anderen mithalten! Ich habe den Bachelor richtig gut geschafft und dann gewusst, ich will den Master draufbauen.“
Die Frauen sind akzeptiert und fühlen sich in MINT-Berufen wohl
Es gibt Vorbehalte und Vorurteile gegenüber Frauen in technischen Berufen, aber sie sind in den Erzählungen der Studentinnen und Absolventinnen die Ausnahme, wie diese Ausschnitte aus den Interviews zeigen:
Sie erfahre als Frau in ihrem Beruf stets Respekt und Anerkennung durch die Tatsache, dass sie das Ingenieurwissenschaftsstudium absolviert hat, berichtet eine Interviewpartnerin: „Es gibt viele Frauen, die mich unterstützt haben, aber meine Vorgesetzten waren meist Männer, die mir Vertrauen entgegengebracht und Türen geöffnet haben. Auch im Studium haben die Freunde und Kommilitonen nie einen Unterschied gemacht, weil ich eine Frau bin.“
Kompetenz zählt: „Ich habe wegen meines Geschlechts nie Ablehnung erfahren, weil ich keines der Klischees bediene, und ich es mir auch nicht nachsagen lassen möchte. Ablehnung kommt erst, wenn man sich als inkompetent erweist – und das würde einem Mann genauso passieren. Die Kernfrage gilt der Kompetenz und der Fähigkeit eines jeden Einzelnen. Die Frage, ob Technik und Frau oder Technik und Mann besser funktionieren, hat sich mir nie gestellt.“
„Als Frau in der Männerwelt hatte ich bisher niemals Nachteile, sondern nur Vorteile. Alle sind stolz auf einen, viele wollen zeigen: Toll, wir können auch Frau! Es liegt wohl auch daran, dass wir hier prima Kollegen haben und ein internationales Unternehmen sind. Ich treffe hier im Unternehmen durchaus häufiger auf Frauen, von denen einige auch im Talentprogramm sind. Mit ihnen gibt es kein Konkurrenzdenken, sondern der Umgang ist ebenso kollegial wie mit den Männern. Der wichtigste Punkt aber ist, dass man sich etwas zutraut. Und da beobachte ich mehr Männer, die sagen, sie schaffen das, während ich als Frau spüre, dass mir an einigen Stellen manchmal das Selbstbewusstsein fehlt, um einfach so zu sagen: ,Klar schaffe ich das.‘“
Wie werben wir für MINT-Berufe?
Die jungen Frauen in technischen Berufen und Führungspositionen sehen die Wirtschaft in der Pflicht, mehr Mädchen für MINT-Berufe zu begeistern. Die Unternehmen sollten Impulse im Schulalltag setzen, die Jungen wie Mädchen dazu ermutigen, technische Berufszweige für sich in Betracht zu ziehen.
„Doch vielleicht sollten auch Frauen wie ich mehr tätig sein, um ihre positiven Erfahrungen weiterzugeben“, sagt eine Gesprächspartnerin: „Vielleicht sollten wir auch mehr von jenen jungen Frauen wissen, die sie sich nicht für ein Studium im MINT-Bereich interessieren. Vielleicht haben viele von diesen Frauen eine falsche Vorstellung davon, was der Job von Ingenieuren ist. Wenn uns klar wird, was diese Frauen von einem technischen Beruf abhält, können wir gezielte Beispiele darstellen, die sie ermutigen, diesen Karriereweg zu verfolgen.“
Was einem in der Jugend fehle, heißt es in einem Interview, sei „die Masse“ an positiven Vorbildern von Frauen, die es in technischen Fächern geschafft haben: „Das muss sich auswachsen.“ Die erfolgreiche Ingenieurin und Physikerin müsse aus dem Status des „Rosa Elefanten“ herauswachsen, der die bestaunenswerte Ausnahme bilde.
Der Ingenieurberuf, sagt eine weitere Ingenieurin, „eröffnet so viele Möglichkeiten, wo man arbeiten kann. Um diese Vielfalt aufzuzeigen, helfen Girl’s- and Boy’s-Days an der Schule nicht viel. An Berufsinformationstagen sollte nicht der Ingenieur in die Schule kommen, sondern die Ingenieurin und die Feuerwehrfrau!“
Wieder kommt eine junge Frau im Interview auf die Kinder und die Kindheit zurück: „Um mehr Mädchen und Frauen für technische Berufe zu ermutigen, sollten wir schon den Kindern mehr Möglichkeiten anbieten, mit Technik zu spielen. Und wir sollten sie vor allem ermutigen, etwas zu machen, was nicht schubladenkonform ist. Wir sollten das Kind entscheiden lassen, damit seine Lust und Neigung es zu einem erfüllenden Berufsleben führen.“