Wohin steuert der ÖPNV: Prof. Dr. Carsten Sommer über die Herausforderungen in der neuen Legislaturperiode

Erhalt vor Neubau – so lautet das Prinzip des neuen Verkehrsministers Patrick Schnieder (CDU). Sanierungen sollen jetzt schnell umgesetzt werden. Die Finanzierung von Straße und Schiene werde dabei gleichberechtigt behandelt. Vor welchen Herausforderungen der ÖPNV in der neuen Legislaturperiode steht, erklärt Prof. Dr. Carsten Sommer, Leiter des Studiengangs ÖPNV und Mobilität an der UNIKIMS.

Wie sehen Sie die Zukunft des ÖPNV in der neuen Legislaturperiode

Prof. Sommer: Im Koalitionsvertrag stehen viele gute Dinge für den ÖPNV. Der Preis des Deutschlandtickets bleibt bis 2029 konstant – das ist positiv und überraschend. Allerdings ist klar: Da der ÖPNV zu etwa zwei Drittel steuerfinanziert ist, muss das Geld von irgendwo kommen. Für alles, was Finanzen und Steuern betrifft, ist gerade keine leichte Zeit. Dabei ist der ÖPNV gerade für die soziale Teilhabe und das Erreichen der Klimaschutzziele sehr wichtig.

Die Koalition will das Deutschlandticket „stabilisieren“. Was ist das Problem?

Prof. Sommer: Durch das Deutschlandticket hat sich das Verhältnis von staatlich- und nutzerfinanzierten Einnahmen deutlich verschoben. Vorher war dies annährend 50:50. Jetzt werden ungefähr zwei Drittel der Einnahmen durch Steuern finanziert – dadurch entsteht eine große Abhängigkeit von der öffentlichen Hand.

Das heißt der ÖPNV hat ein Finanzierungsproblem?

Prof. Sommer: Die Frage der Finanzierung ist momentan sehr drängend. Die Kosten sind in den vergangenen Jahren überproportional angestiegen. Das liegt auch an Investitionen in neue Strecken und Sanierungsprojekte. Vor allem sind aber die Personalkosten in den vergangenen Jahren angestiegen. Das hat mit einem weiteren Problem zu tun: Personalmangel. Lange hat sich das Einkommen für das Fahrpersonal nicht an die steigenden Lebenshaltungskosten angepasst. Die schlechte Bezahlung hat Bewerberinnen und Bewerber abgeschreckt. Dieser Fachkräftemangel lässt Gehälter jetzt steigen. Das ist gut, steigert aber auch die Personalkosten. Die Einnahmen können dabei nicht mithalten.

Wie könnte das Finanzierungsproblem gelöst werden?

Prof. Sommer: Der Betrieb von Bussen, Straßenbahnen, U-Bahnen und Regionalverkehrszügen kostet bundesweit jedes Jahr etwa 25 Milliarden Euro. Doch das lohnt sich: Laut einer aktuellen Studie der TU München ist der ÖPNV jährlich für rund 75 Milliarden Euro Wertschöpfung verantwortlich. Der Nutzen des ÖPNV für die Volkswirtschaft ist also dreimal so hoch wie seine Kosten. Eine Möglichkeit wäre deshalb die sogenannte „Nutznießerfinanzierung“. Nicht nur die Fahrgäste direkt profitieren vom ÖPNV, sondern auch der Tourismus, der Einzelhandel sowie Unternehmen und Institutionen. Wenn diese beispielsweise gut angeschlossen sind, werden sie als Arbeitgeber attraktiver und müssen zudem weniger Geld in Stellplätze investieren. Ein solches Modell gibt es beispielsweise schon in Wien. Dort zahlen solche Akteure eine „Dienstgeberabgabe“, die zur Finanzierung der U-Bahn verwendet wird. 

Welche Rolle spielen technische Neuerungen bei der Finanzierungsfrage?

Prof. Sommer: Der Technologieschub bringt große Veränderungen für die Branche und macht langfristige Investitionen nötig. Dazu gehören Themen wie Elektromobilität, autonomes Fahren und Elektronisches Ticketing. Diese Technologien bieten jedoch auch Lösungen. So könnten autonome Shuttles beispielsweise zur Entspannung beim Personalmangel beitragen. Vor allem ländliche Gebiete oder Menschen, die in Randzeiten unterwegs sind, können durch autonome Shuttles profitieren, da eine Ausweitung des Angebotes durch geringere Betriebskosten einfacher möglich wird. Da hilft uns der technische Fortschritt auch Qualität und Quantität zu verbessern und den Kundenwunsch nach mehr Verlässlichkeit zu erfüllen.

Unsichere Zukunft für den ÖPNV

Gemischte Aussichten für den ÖPNV also: Kein Fortschritt ohne Finanzierung, aber unsichere finanzielle Verhältnisse durch die hohe Abhängigkeit von staatlicher Hand. Ein Ausbau des ÖPNV, der in der letzten Legislaturperiode noch im Koalitionsvertrag stand, sieht der neue Vertrag nicht mehr vor. Bleibt also abzuwarten, wie viel Innovation in den kommenden Jahren möglich sein wird.

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